Wie war das doch mit der Imme, dem Motorrad aus drei Rohren ?
1950 ..... der Rektor der jungen Realschule in einem kleinen Ort zwischen Köln und Bonn
fährt mit seiner neuerworbenen Imme auf den Schulhof. Ich gehöre zu den staunenden
Schülern und lasse mich von der Begeisterung des Magisters anstecken, der völlig
überzeugt von der Imme-Konstruktion ist, mit der man über Treppen und
Eisenbahnschwellen fahren könne.
Auf die einseitige Radaufhängung hin
angesprochen - kann denn so etwas überhaupt halten? - weiß er zu argumentieren,
dass Autos doch auch diese Radaufhängung besäßen!
Im Unterricht erfahren wir
noch manches staunenswerte über das ungewöhnliche Motorrad, dessen Rahmen aus ganzen
drei Rohren besteht, von denen eines gleichzeitig Motorträger, Auspuffrohr und
Hinterradschwinge darstellt. Angetan von dieser Konstruktion entsteht vor meinem geistigen
Auge ein Wunschobjekt, nämlich ein Fahrrad mit den Rahmenkomponenten der Imme, wenn
auf der täglichen Radfahrt zur Schule - auf etlichen Kilometern holprigem
Feldweg - Gesäß und Arme einmal mehr malträtiert werden.
Jahre später
werde ich ein vollgefedertes Fahrrad als Weihnachtsgeschenk für meinen ältesten
Sohn Martin bauen.
Als armer Schüler von damals (der Kauf von Fachzeitschriften war im Taschengeld nicht drin)
wird man so Zeuge einer sprunghaften Motorradentwicklung, die es in dieser Form nicht mehr geben
wird.
Ich erinnere mich noch gut an den Kinobesitzer von gegenüber, der kurz
hintereinander mit jeweils den Fahrzeugen aufkreuzte, die gerade auf dem Markt neu
erschienen waren, angefangen vom Fahrrad mit Hilfsmotor - REX am Riemen - über die
98er MIELE/Sachs, die 125er TORNAX mit ILO Mo-tor, eine 175er und danach eine 250er PUCH,
eine HOREX Regina und zuletzt - vor dem Umstieg aufs Auto - eine Zweizylinder-BMW.
Die Produktion der Imme lief mal gerade 2 Jahre - schon 1951 erfolgte der Konkurs der RIEDEL
Motoren AG und nur wenige Jahre später waren bereits die meisten der anderen berühmten
Motorradhersteller ebenfalls verschwunden.
Ende der Fünfziger Jahre mache ich mich selbständig und repariere Fahrräder
und Mopeds. Auch der mittlerweile pensionierte Direx zählt zu meinen Kunden. Da es zu
dieser Zeit noch Ersatzteile für die Imme gibt, kann ich ihm helfen und erinnere mich
noch heute daran, dass ich beim Zusammenbau des komplizierten Imme-Motors fürchterlich
geschwitzt habe !
Fünfundzwanzig Jahre später: In "motorrad, reisen & sport" erscheinen
Schnittzeichnungen und ein Kommentar über die Imme, in welchem diese Konstruktion
als völlig unzulängliche Notlösung aus der Nachkriegszeit dargestellt wird.
Empörung kommt hoch - es muss schnellstens eine fahrbereite Imme her, um den Leuten
von "mrs" mal ordentlich das Gegenteil zu beweisen.
Nicht einfach, wie sich zeigen wird.
Die Imme des mittlerweile verstorbenen Schulmannes befindet sich noch im Familienbesitz,
ist jedoch unverkäuflich. Die Anzeigenrubriken einschlägiger Blätter geben
zu dieser Zeit auch nichts her. Per Zufall wird mir eine ADLER M 100 angeboten, bei deren
Anblick ich mir schon als Schüler die Nase am Schaufenster der Bonner ADLER-Vertretung
plattgedrückt hatte.
Wenn schon keine Imme - so sage ich mir - dann wenigstens diese ADLER, die zur gleichen Zeit
konstruiert wurde wie die Imme und ebenfalls eine Reihe technischer Reize aufzuweisen hat.
Bei der Restaurierung der ADLER - ich mache so etwas zum erstenmal - sammelt man auf diesem
völlig anderen Gebiet der Motorradszene vielfältige Erfahrungen und lernt bis dato
völlig unbekannte Leute kennen. Es macht sich bereits die Befürchtung breit, diese
Tätigkeit könne eines Tages noch zur Sucht ausufern.
Die Restaurierung der ADLER zu einem neuwertigen Fahrzeug ist in relativ kurzer Zeit
abgeschlossen und - wie Fachleute bestätigen - perfekt gelungen. Sie wird des
öfteren im normalen Verkehr und auch bei Veteranen-Veranstaltungen gefahren, ist
absolut zuverlässig und in den Fahrleistungen auch modernen Mokicks noch deutlich
überlegen.
Aber eigentlich wollte ich doch etwas über die Imme berichten.
Nun - wer Imme meint, muss auch Fox sagen. Denn als mir eine solche angeboten wird, bin
ich nach der Probefahrt von diesem Gefährt so begeistert, dass ich sie sofort erwerbe.
Die Fox hat 4 Gänge und hängt seidenweich am Gas - und dann der Klang des
Viertakters - in diesem Punkt kann die ADLER nicht mithalten.
Wie zuvor schon die ADLER,
so wird auch die Fox nach der Probefahrt völlig zerlegt. Sofortiger Abbruch der
vorgesehenen Arbeiten ist angesagt, als ein Kunde im Laden erscheint und eine Antriebskette
für eine Imme verlangt. Ich falle aus allen Wolken, wohnt doch in unmittelbarer
Nachbarschaft ein Mensch, der eine Imme besitzt, und ich weiß nichts davon.
Beim Nachhaken erfahre ich, dass es einen Freundeskreis für Imme-Fahrzeuge gibt.
Sofort werden Kontakte angeknüpft und der Leiter dieser Truppe - Heinrich Egger - verkauft
mir zu einem kommoden Preis eine restaurierfähige Imme R 100 Standard in Teilen samt
einem teilüberholten Motor.
Über die Besonderheiten der Imme Konstruktion, den Konstrukteur Norbert Riedel und die
Hintergründe von Firmenaufstieg und -Pleite ist schon viel geschrieben worden. Selbst
anerkannte Experten sind teilweise völlig gegensätzlicher Meinung und manche
Behauptungen über kriminelles Verhalten und Betrug an den Aktionären
(die zum großen Teil aus Motorradhändlern bestanden) erscheinen mir etwas
hochgestochen. Es war eben eine turbulente Zeit und auch bei traditionsreichen und
renommierten Werken ist in dieser Zeit sicher nicht alles sauber gelaufen. Ich möchte
mich daher in meinen Betrachtungen mehr auf die Technik konzentrieren, weil ich hierin den
größeren Reiz sehe.
Riedel weiß seine Geldgeber davon zu überzeugen, dass seine Imme preiswerter
als herkömmliche Konstruktionen herzustellen ist, einen nie gekannten Fahrkomfort
bietet und dadurch zu einem Verkaufsschlager werden muss. An der Anzahl der Teile gemessen
bietet die Imme "sowenig Motorrad fürs Geld" wie noch nie, und das durchaus im
positiven Sinne.
Für den aus drei Rohren bestehenden Rahmen kommt Riedel mit einer einzigen Rohrdimension
aus, die sich auch am Steuerkopf, an der Schwingenlagerung und bei den inneren
Nabenhülsen wiederfindet- alles relativ leicht und ohne großen Maschinenpark
zu verarbeiten. Während der Zentralrohrrahmen später von vielen Herstellern
übernommen wird, bleibt die Einrohr-Trapezgabel ohne Nachfolger. Auch die Einarmschwinge
findet später Nachfolger, nicht allerdings in der Riedel'schen Konsequenz mit gleichzeitiger
Funktion als Triebsatzwippe und Auspuffrohr. Die vorne und hinten gleich aufgebauten
Bremstrommeln sind samt ihrer Lagerung mit den Rahmenrohren verschraubt und verbleiben beim
Radwechsel - ebenso wie der hintere Zahnkranz - am Rahmen. Die Räder sind ebenfalls
vorne und hinten gleich, mit drei Muttern M 8 befestigt und eröffnen schon damals die
Möglichkeit der Mitnahme eines Reserverades. Das Fahrwerk mit dem irrsinnig langen
hinteren Federweg wird durch einen verstellbaren Reibungsdämpfer gebändigt, der
sich auch an der vorderen Gabel wiederfindet. Beim Zerlegen kommt man mit anderthalb
Schraubenschlüsseln aus! Schlüsselweite 10, 14 und 19 - fertig - aus!
Auch am Motor sparte Riedel - zu viele ? - Teile ein. Die Kurbelwelle ist einseitig gelagert,
Zylinder mit Kopf bestehen aus einem Stück (Sackzylinder nennt man eine solche Konstruktion),
das Ziehkeilgetriebe besitzt keine Leerlaufstellung. Das Motorgehäuse besteht aus nur
zwei Teilen. Die kompakte Bauweise spart Material -
Alu war damals teuer - erweist sich allerdings als aufwändig und kompliziert bei der
Reparatur.
Die Drehgriffschaltung ist vom Prinzip her wegen des Überholfreilaufs im 1. Gang
genial ausgedacht. Im Fahrbetrieb schaltet man den zweiten Gang bis zum Anschlag nach oben
und den dritten Gang bis zum Anschlag nach unten, muss also nicht wie bei herkömmlichen
Anordnungen irgendwelche Zwischenstellungen suchen.
Der erste Gang liegt in der Mitte und
lässt sich beim Einlegen im Stand leichter finden. Beim Zurückschalten in den
1. Gang während der Fahrt bleibt der übliche Ruck mit Hochdrehen des Motors aus,
weil der Kraftschluss erst dann hergestellt wird, wenn die Motordrehzahl höher als die
übersetzungsbedingte Drehzahl des Hinterrades ist.
Statt einer Leerlaufstellung gibt
es eine Drahtschlaufe, mit der man den gezogenen Kupplungshebel arretieren kann.
Der BING-Vergaser besitzt keine Gasschieber-Anschlagschraube für die
Standgasregulierung - bei völligem Schließen des Gasgriffs geht der Motor
aus, so spart Riedel auch den Kurzschlussknopf bzw. ein Dekompressionsventil zum
Abstellen des Motors. Vergebens sucht man auch einen Tacho oder ein Lenkschloss.
Neben der beschriebenen Standard-Version der Imme entstehen auch noch Export- und Luxusmodelle,
die mit mehr Chrom und einem Tachometer ausgestattet sind. Insgesamt werden von 1949 bis 1951
etwa 12.000 Immen gefertigt. Dann kommt der Konkurs. Was ist geschehen? ADLER und NSU (die
beiden renommierten und erfahrene Werke) haben nicht geschlafen und ebenfalls moderne
100 ccm Maschinen auf den Markt gebracht. Diese sind von der Optik her weit weniger
unkonventionell als die Imme konstruiert, weisen jedoch eine zuverlässigere Technik
auf. Die kleine ADLER bietet trotz filigranem Aufbau soliden Maschinenbau und Technik vom
Feinsten, verbunden mit reichhaltiger Ausstattung wie starkem 25 Watt Licht (Imme 15 Watt),
Fußschaltung und Tacho. Bei der ADLER findet sich sogar ein Lenkschloss . Die NSU Fox
brilliert durch überlegene Leistung des Viertakters mit Dreigang-Fußschaltung und
erhält kurze Zeit später sogar ein Vierganggetriebe. Imme-Fahrer hingegen müssen
sich mit bescheidenerer Ausstattung zufrieden geben und plagen sich mit Vibrationen, lautem
Auspuffgeräusch und frühzeitigen Motorenausfällen herum. Entsprechende
Gegenmaßnahmen werden zwar noch eingeleitet, greifen jedoch zu spät.
So verschwindet
die Imme vorzeitig aus dem Trio der hubraumgleichen, jedoch völlig verschiedenartigen
Konzepten, die nach dem Kriege die Motorradentwicklung entscheidend beeinflusst haben. Dass
auch ADLER und NSU wenige Jahre später das gleiche Schicksal treffen wird, ist zu dieser
Zeit noch nicht unmittelbar vorhersehbar.
Die von mir restaurierte Imme wurde in Heft 2 des Jahrgangs 1991 von "motorrad, reisen & sport"
getestet. Der Bericht enthält einen zusätzlichen Kommentar von "Klacks", dem
legendären Frontmann der Zeitschrift "Das MOTORRAD". Die Testmannschaft konstatierte
eine (gutgemeinte) Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, geschuldet dem verschlissenen
Kolben, für den noch kein Ersatz gefunden worden war. Bei einer anschließenden
Veteranenrallye fiel die Imme mit defektem Kolben aus. Der Zylinder wurde von einem
renommierten Fachbetrieb ausgeschliffen und mit einem nachgefertigten Kolben versehen.
Leider erwies sich diese (teuer gewesene) Reparatur als unzulänglich und bereitete
wiederum Probleme. In einem zweiten Anlauf gelangte der Zylinder über einen Mittelsmann
in ein nicht genanntes Ostblockland, wo die beim letzten Male vermurkste Zylinderlaufbahn
nachgearbeitet und ein neuer Kolben angefertigt wurde. Damit läuft die Imme mittlerweile
perfekt.
Bei Veteranen-Veranstaltungen an den Start gebracht, sorgt sie - wie schon bei ihrer
ersten Vorstellung Ende der Vierziger Jahre - für jede Menge Aufmerksamkeit und
ungläubiges Staunen. Außerhalb solcher Veranstaltungen werde ich mit
der - raten Sie mal - Fox fahren und die ADLER, dieses treue Arbeitstier, kann ich
bedenkenIos verleihen.
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